Philosophie

Auf die Frage „Lisa, wie würdest du dich mit einem Wort beschreiben?“ antworte ich eigentlich immer: „Vielseitig.“ Erstens entspricht das der Wahrheit. Zweitens zeigt es die Problematik dieser Frage. Die Person möchte ich kennenlernen, die sich mit nur einem einzigen Wort komplett beschreiben kann. Ich zumindest kann es nicht. Mir fallen da eine Menge Wort ein, die auf mich zutreffen: neugierig, renitent, laut, widerspenstig, eigenwillig, interessiert.

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Selbstreflexion

Sich selbst zu beschreiben ist schwer. Nicht nur, weil es jede Menge Selbstreflexion braucht. Sondern weil man sich selbst natürlich nie loben und mit positiven Adjektiven schmücken möchte. Nun, für mich ist beides kein Problem. Ich könnte mir hier eine Reihe von komplimentierenden Adjektiven zuschreiben, angefangen bei: selbstreflektiert. Aber das bringt uns nicht wirklich weiter. Lieber erzähle ich etwas über mich – Erzählungen sind schließlich mein Beruf.

Es ist ein gängiges Vorurteil, dass eine Geschichte immer am Anfang anfangen sollte. Finde ich zumindest. Ein gutes Buch, ein guter Film, sie fangen meistens kurz vor dem Ende an – und spulen dann zurück. Rate, womit ich also anfangen werde.

Das Studium

Viereinhalb Jahre hab ich in Münster Geschichte und Philosophie studiert. Die Regelstudienzeit hatte ich mir schon nach dem zweiten Semester aus dem Kopf geschlagen. Im Januar 2015, mit 24 Jahren, habe ich endlich meine Bachelor-Arbeit abgegeben, doch das erhoffte Glücksgefühl ließ auf sich warten. Die ersten zwei Wochen hab ich eigentlich nur geweint. Ich war überfordert. Nervös. Unsicher. Ich wusste nicht so recht, wohin mit mir. Wer ich eigentlich bin. Was ich will. Fragen über Fragen.

Dabei war ich mir einmal so sicher gewesen: Ich wollte Journalistin werden. Naja, das stimmt auch nicht ganz. Eigentlich wollte ich mal Lehrerin werden. Seit der neunten Klasse. Ausnahmslos jeder riet mir dazu: Ich könne doch frei reden, Menschen begeistern und Informationen gut vermitteln.  Bis zum Abitur war ich mir sicher, dass ich diesen Weg gehen werde. Doch als es soweit war, sollte ich mich festlegen. Die Entscheidung für’s Leben, unveränderbar. Zumindest fühlte es sich so an. Ich hatte mich auch beinah an der WWU in Münster für Deutsch und Englisch auf Lehramt eingetragen. Damit sei ein Job später gesichert, sagte man mir.

Die Schule

Es war nicht so, dass ich Deutsch und Englisch nicht mochte. Aber mir wurde plötzlich bewusst: Als Lehrerin, wie in fast jedem anderen Beruf, ist man an einen Ort gebunden. Jeden Morgen, zur gleichen Uhrzeit, zum gleichen Ort. Dieser Gedanke gefiel mir nicht. Er gefiel mir gar nicht. Zum großen Bedauern meiner Großeltern schmiss ich meine Pläne von Festanstellung und Sicherheit über den Haufen und überlegte, was mir Spaß machen würde.

Auch wenn ich kein wirklich großer Freund der Institution „Schule“ war, sie hat mich und meine Interessen in gewissen Bereichen doch gefördert. Geschichtlich war vorher schon geprägt, durch meinen Großvater. Doch die Philosophie war mir gänzlich neu. Und als ich sie in der Schule kennenlernte, war ich sofort verliebt. Gut, ich war ein Teenager, da ist das mit dem Verlieben nicht so schwer. Aber die Liebe hält bis heute. Das lag vielleicht nicht nur an den Themen und Gedankenexperimenten, die beide Fächer maßgeblich prägten, sondern an meinen Lehrern. Sie brachten neben fundiertem Wissen und Fachkompetenz vor allem eins mit: Empathie. Sie schafften Verständnis für Situationen, Menschen und Ereignisse. Sie lehrten mich, die Welt in einem größeren Kontext zu betrachten. Zusammenhänge zu erkennen und Verständnis für andere zu entwickeln.

DSC_7245-14 KopieDie Entscheidung war getroffen: Ich wollte Geschichte und Philosophie studieren. Denn ehrlich gesagt: Der Gedanke, nicht zu studieren, kam mir nicht. Doch mit diesen Fächern allein würde ich nicht weit kommen, das war mir klar. Also dachte ich nach: In welchem Beruf bin ich ständig unterwegs und lerne möglichst viele Menschen kennen? Dann das war es, was ich wollte. Unterwegs sein, Menschen und Kulturen kennenlernen, die Welt verstehen. In meinem Kopf machte es Klick: Journalismus. Das war’s. Ich, Lisa Kolumna, die rasende Reporterin. Ich hatte große Träume.

Die Realität

Träume, die durch eine dicke, fette Nadel namens Realität zum Platzen gebracht wurden. Berufserfahrung ist da wohl das Stichwort. Nach einem Praktika-Marathon durch Zeitung, Radio, Fernsehen, Produktionsfirmen und Nachrichtenagenturen arbeitete ich über ein Jahr als freie Journalistin. Ja, es stimmt: Ich wurde schlecht bezahlt. Aber Ideale kann man nun mal nicht mit Geld aufwiegen, dachte ich. Irgendwann, ja, eines Tages, würde man mir vielleicht mehr als 13 Cent pro Zeile zahlen. Um das besser einschätzen zu können: Ich hab in den seltensten Fällen mehr als 100 Zeilen geschrieben, aber immer mehr als 3 Stunden dafür arbeiten müssen. Deshalb hab ich mich auch als Video-Produzentin selbstständig gemacht. Für Firmen wie Karstadt und die LVM habe ich Videos gedreht, aber auch an freien Kurzfilmen mitgewirkt. Jeder dieser Aufträge hat dabei ein gleiches Element: Die Story. Es geht immer darum, eine Geschichte zu erzählen. So klein sie auch ist. Das verbindet alle meine Aufträge und das ist mein Talent.

Geschichten. Ganz allgemein. Ich lerne gerne verschiedene Menschen, Länder und Kulturen kennen. Alles und jeder hat eine Geschichte. Der Vorteil bei den Menschen ist: Man kann sie fragen. Das wird bei Kulturen und Ländern schon schwieriger. Aber ich hinterfrage gerne und möchte alles verstehen. Das ist der Moment, wo wir dann zum Anfang zurückspulen.

Die Anfänge

Ich bin Einzelkind. Eins von den guten, wie mir oft gesagt wurde. Extrawünsche und Einzelkind-Attitüden hat meine Mutter gar nicht erst gewähren lassen. Das Einzelkind-Dasein brachte vor allem eins mit sich: Ruhe. Ich hatte viel Zeit für mich und lernte früh, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Zumindest von außen betrachtet. Denn mit drei Jahren hatte ich einen guten Freund und Gesprächspartner gefunden: Eine Steckdose. Genau genommen die, zwischen meinem Kinder- und dem Wohnzimmer. Stundenlang konnte ich davor sitzen und im inneren Monolog mit dieser Steckdose sprechen (Ja, ich frage mich auch oft, was IMG_4491da in meinem Kopf vorging – vermutlich ist mir die Absurdität dieser Situation auch irgendwann aufgefallen, denn mit vier Jahren erschuf ich einen imaginären, aber zumindest wie ein Mensch aussehenden, Freund, der als Gesprächspartner diente). Ich erinnere mich an einen Gedanken, der mich bis heute beschäftigt: Die Sprachbarriere.

Es war mir, in meinem kleinkindlichen Kopf, einfach unvorstellbar, dass jemand nicht meine Sprache sprechen sollte. Mich also nicht versteht, wenn ich etwas sage. Und etwas sagt, was ich nicht verstehen kann. Das schien mir absurd. Scheint es mir bis heute. Aber schon damals wurde mir bewusst, dass es auf dieser Erde viele Menschen gibt. Alle verschieden. Das war mein erster globaler Gedanke, es folgten viele weitere. Die Vielfalt unserer Erde fasziniert mich. Nicht nur die Natur, sondern die Lebewesen. Die Vielzahl an Menschen, mit ihren unterschiedlichen Leben. Kulturen. Sprachen. Vorstellungen. Ideologien. Gedanken. Ich könnte nicht genug davon bekommen. Ich will sie alle kennenlernen, ich will alles über sie wissen – um alles zu verstehen. „Damit ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“, sagte Faust. Ich weiß genau, was er meint. Denn nur wenn man kennt versteht, hat man keine Angst davor. Keine Angst. Das ist es. Das ist mein Ziel.

Freiheit.

Leben.

Denken.

Nicht mehr, nicht weniger. Ich will selbst bestimmen, wann ich aufstehe. Wo ich hingehe. Was ich mache. Wen ich kennenlerne. Worüber ich nachdenke. Ich will reisen, die Welt sehen, Menschen kennenlernen. Deshalb auch der Journalismus. Da hätte man schließlich alle Punkte vereint. Dachte ich damals. Denke ich heute nicht mehr. Ich liebe diesen Beruf, zweifelsohne. Aber er schränkt mich ein. Wesentlich.

Die Freiheit

Besonders in meinem Denken. Der Journalismus, nicht generell, aber in der Praxis, die ich erlebt habe, ist eine Maschinerie. Geprägt durch Zensur und, wieder mal, Angst. Angst, nicht als Erster die Story zu bringen. Angst, wichtige Informationen nicht zu liefern. Angst Leser, Zuschauer und Zuhörer zu verlieren. Oder schlimmer: Anzeigenkunde und Werbekunden zu verlieren.

So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich wollte mehr. Mehr als Menschen kennenlernen, ihre Geschichte zu hören. Mehr als Reisen und die Welt sehen. Ich wollte sie kennenlernen, sie verstehen. Viel mehr: Meine eigene Philosophie entwickeln. Unabhängig von meinem sozialen und ethnischen Kontext. Eine globale Philosophie.

Wieder schmiss ich alle meine Pläne über den Haufen – Zum erneuten Entsetzen meiner Familie: Es muss doch noch eine andere Lösung geben. Stimmt, gibt es. Sie lautet: Digitale Nomaden. Wochenlang hörte ich nichts anderes aus dem Mund einer guten Freundin Jessica. Morgens, mittags, abends. Egal welches Thema, sie fand eine Überleitung. Nach der DNX in Berlin war Jessi förmlich gebrainwasht. Aber das Konzept klang tatsächlich vielversprechend: Ortsunabhängige Arbeit. Über das Internet. Man lebt, wo man möchte, reist sogar, und arbeitet von unterwegs. Ja, das war es. Es hörte sich einfach richtig an.DSC_7175-10 Kopie

Also fing ich neben dem Abschluss meines Studiums und der Arbeit als freie Journalistin und Video-Produzentin an, mich auf ein Nomaden-Leben vorzubereiten. Ich verkaufte meinen Besitz und was nicht verkauft werden konnte, wurde gespendet und verschenkt. Hauptsache weg. Ein befreiendes Gefühl. An diesem Punkt bin ich nun: Befreit vom Studium, befreit von Besitz. Der erste Schritt zur Freiheit. Was noch fehlt, ist ein Geschäftskonzept, mit dem ich mich über Wasser halte. Ich gebe zu: Ich bin noch in der Brainstorming-Phase. Ehrlicher gesagt: Ich hab noch keinen Plan. Aber das hält mich nicht ab. Das tut es nie.

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